Dierk Seidel

Onkel Heiner ist zu Besuch oder wohnt der nicht eigentlich in Kiel?

Es war Samstag und Oma Inge hatte wieder zum Pommes- und Bratwurstessen eingeladen. Onkel Heiner ließ sich neuerdings sehr oft blicken, das fiel nicht nur meinem Bruder Klugscheißer-Fabian auf, sondern auch mir. Und ich bin, was solche Neuigkeiten betrifft, eher drei Meter hinterher.

Diesmal waren Tante Helene, meine Mutter Hermine, mein anderer Bruder Felix, ich und eben Onkel Heiner zu Besuch bei Oma Inge. Tante Helene, Mutter, Felix und ich trafen uns am Hauptbahnhof und fuhren gemeinsam raus. Im Vorort angekommen, gingen wir zielstrebig zu Omas Straße. Als wir auf das Haus zuliefen, sahen wir Onkel Heiner auf der Bank neben der Eingangstür sitzen. Er schälte Kartoffeln.

„Ich bin schon da“, sagte er. Dann zeigte auf die Kartoffeln und fuhr fort: „Für die Pommes, ich helfe etwas mit.“ Onkel Heiner lachte plötzlich auffällig und etwas übertrieben, beruhigte sich ebenso schnell wieder und schälte weiter.

Tante Helene sagte: „So, wie du das machst, gibt es heute keine Pommes, lass mich mal.“

Sie setzte sich neben Onkel Heiner und schob ihn von der kleinen Bank. Onkel Heiner plumpste auf den Boden, lachte wieder und hielt Tante Helene seinen Sparschäler hin. In dem Moment öffnete Oma Inge die Tür.

„Was lärmt ihr so rum, kommt rein, die Pommes sind fertig.“

„Und was ist mit denen hier?“, fragte Onkel Heiner.

„Die sind für nächste Woche, ich kenne doch deine Geschwindigkeit.“

Onkel Heiner stand auf und wir gingen ins Wohnzimmer. Wir schmissen unsere Jacken aufs Sofa und setzten uns an den Esstisch.

„Felix, hilf mir mal“, sagte Oma Inge.

Felix stand auf und brachte kurz danach Pommes und Bratwurst.

„Fleischessen ist ja einer der größten Klimakiller, wir sollten vielleicht mal auf vegane Würste umsteigen“, sagte Onkel Heiner mit vollem Mund.

„Das sagt der Richtige“, erwiderte Oma Inge, „du hast doch die letzten zwei Wochen hier jeden Abend deine Teewurst verlangt.“

Wir horchten alle auf. Onkel Heiner war schon zwei Wochen hier? Also seitdem ich das letzte Mal hier war? Er hatte damals berichtet, wie wunderbar es sich in Kiel lebt.

Onkel Heiner blickte nun lange meine Oma an, nach einiger Zeit wanderte sein Blick zu Tante Helene, dann zu meiner Mutter, und letztlich blieb er zwischen mir und Felix hängen, ehe er sagte:

„Ich sagte ja nur, einer der größten Klimakiller, der größte ist immer noch drei Kinder in die Welt zu setzen“, sein Blick ging wieder zu meiner Mutter, „und dann wiederum drei Kinder in die Welt zu setzen. Da kann ich noch hundertmal Teewurst essen.“

Tante Helene fasste sich als erste wieder: „Heiner, ich glaube, es hakt bei dir, erst fängst du mit veganen Würsten an, die, weiß Gott ja gar nicht so schlecht sind, und dann stänkerst du hier rum und stellst unser aller Geburt in Frage. Hast du zu viel gekifft da oben in Kopenhagen?“

„Kiel, Helenchen, Kiel, nicht Kopenhagen, ich wohne seit fast 40 Jahren in Kiel.“

„Onkel Heiner“, mischte sich nun Felix ein.

„Nur Heiner, bitte.“

„Ja, Onkel, sag mal, bist du dir sicher, dass du noch in Kiel wohnst, du bist seit einiger Zeit erstaunlich oft hier. Was wohl Papa dazu sagen wird?“

Onkel Heiner nahm einen Schluck Bier, guckte dann auf seinen leeren Pommes- Bratwurstteller und sagte dann:

„Papperlapapp, ich wohne in Kiel, immer schon und das wird auch immer so bleiben, aber wenn ich euch schon nicht nach Kiel holen kann, muss ich ein bisschen Kiel zu euch holen.“

„Du weißt schon, was Kiel holen bedeutet?“, fragte ich.

„Bist du jetzt Klugscheißer-Fabian?“

„Nur Fabian, bitte.“

„Ja, wie auch immer.“

Oma Inge stand auf. Sie holte Korn und Gläser, schenkte ein, wir tranken alle und damit war die Diskussion vorerst vom Tisch.