Dierk Seidel

Onkel Heiner ist zu Besuch oder wieso hat er eigentlich so dichtes Haar

Es war wieder Samstag und Oma Inge hatte, wie jede Woche, zum Pommes- und Bratwurstessen eingeladen. Onkel Heiner ließ sich auch mal wieder blicken. Im Gegensatz zu meinem Vater hat Onkel Heiner noch richtig viel und dichtes Haar. Das fällt allen immer sehr deutlich auf.

Mein Bruder, Klugscheißer-Fabian, sprach ihn diesmal darauf an:

„Onkel Heiner, ganz kurz.“

„Nur Heiner, bitte.“

„Okay, Onkel, sag mal, warum hast du so dichtes Haar und Papa nicht? Habt ihr vielleicht unterschiedliche Elternteile?“

„Klugscheißer-Fabian“, sagte Onkel Heiner.

„Nur Fabian, bitte.“

„Alles klar, Klugscheißer, wenn du in Biologie aufgepasst hättest, wüsstest du, dass so etwas möglich ist. Aber ich will dir dennoch eine Geschichte erzählen. Es gibt tatsächlich ein Geheimnis hinter meiner Haarpracht.“

„Na, da bin ich aber gespannt“, sagte mein Bruder und blickte unseren Onkel intensiv an. Genau wie alle anderen aus der Familie, selbst unser Vater starrte nun gebannt zu Onkel Heiner.

„Das kannst du auch sein“, sagte Onkel Heiner, blickte kurz auf sein Bierglas, dann zu Klugscheißer-Fabian, und fuhr fort:

„In der zwölften Klasse fuhr ich mit meinem Spanischkurs nach, Überraschung, Spanien. Um genau zu sein nach L’Estartit, ein Ort in der Nähe von Barcelona. Das war eine Tour. Ewigkeiten mit dem Bus dahin. Kein Reisebus mit Toilette, wie ihr Kinder das heute kennt, wenn ihr Flixbus fahrt, ne das war so ein Bus, mit dem man normalerweise nur fünf Kilometer bis zum nächsten Zoo fährt, so einer war das.“

„Komm zum Punkt“, sagte Vater Helmut.

„Ja, ist ja gut. Wir waren da im Hotel. Das hatte einen alten und einen neuen Komplex. Wir waren im alten, der steht heute gar nicht mehr. Das war günstig und wir durften sogar die alte Bar betreiben. Glaubt kein Mensch sowas, Wirtschaftsunterricht mal hautnah, glaubt keiner, aber war so. Jeden Abend Party und die Zigaretten da in Spanien, günstig, richtig günstig waren die, umgerechnet weniger als zwei Mark. Könnt ihr euch nicht vorstellen, aber war so. Man, wir waren schon eine Truppe. Hawi, also Hans Wilhelm, Pit, Günther und ich. Euer Vater wollte ja lieber auf Skifahrt, der hat was verpasst.“

„Onkel, was war da denn nun mit deinen Haaren?“, fragte ich.

„Ach das, richtig. Ein paar Tage vorher war ich im Supermarkt, der aus unserer Region, um Sachen für die Fahrt zu kaufen. Wie hieß der noch, der Supermarkt? Helmut, sag eben, wie hieß der noch?“

„Den gibt’s nicht mehr“, sagte mein Vater.

„Oh, schade. Ich mochte den immer. In dem Supermarkt gab es mal einen Werbestand. Da haben die Haarshampoo verschenkt. Beim Kauf von drei Flaschen gab es eine umsonst.“

„Und du warst auf einer Wirtschaftsfachschule?“, fragte Klugscheißer-Fabian.

„Ja, das hatte damit doch nichts zu tun. War ein Schnäppchen und ich habe zugeschlagen. Das Hotel, in dem wir waren, das alte Hotel, war zwar auch ein Schnäppchen, aber es hatte auch seine Nachteile. Am ersten Abend kamen die Mädchen aus dem Nachbarzimmer und wollten bei uns duschen, weil in ihrem Bad die Scheibe kaputt war und der Nachbar von gegenüber alles hätte sehen können. Astrid war die erste. Als sie fertig war, kam sie mit meinem Shampoo in der Hand heraus. Koffeinshampoo gegen Haarausfall, das sagte sie immer wieder, Koffeinshampoo gegen Haarausfall. Dabei lachte sie laut und fragte dann, warum ich mit meinen langen Haaren so ein Shampoo nutze. Ich zuckte damals nur mit den Schultern. Und nun, Kinder, seht mich an, die drei Flaschen habe ich aufgebraucht.“

Onkel Heiner strich sich durch sein wirklich sehr dichtes Haar und schloss seine Geschichte mit dem Satz: „Das Shampoo von damals, das wirkt bis heute.“

„Schöne Geschichte“, murmelte mein Vater, dann stand er auf und ging in die Küche, um Oma mit den Pommes zu helfen.